Ralf Hellmann
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Warum CargoKult?

Cargokulte sind „Warenkulte“, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bei der Konfrontation von Eingeborenen Melanesiens mit europäischen Gesellschaften entstanden.

Im zweiten Weltkrieg wurden beispielsweise auf pazifischen Inseln Flughäfen angelegt. Bewohnt wurden sie von bleichen Wesen mit übernatürlichen Kräften. Weiss symbolisiert den Tod, die bleichen Wesen waren offensichtlich Geister und Ahnen. Flugzeuge landeten mit großen Mengen von Versorgungsgütern, die den Einwohnern der Inseln unbekannt waren und aus wunderbare, unbekannten Materialien bestanden (wie Eisen). Nach dem Ende des Krieges wurden die Flughäfen geschlossen, aber die Eingeborenen beobachteten weiter Flugzeuge, die die Inseln überflogen.

Um diese zum Landen zu bewegen, um die Ahnen zum erneuten Besuch zu animieren, ahmten sie das beobachtete Verhalten der Fremden nach. Sie opferten, bauten Landebahnen und Flugzeuge aus Palmwedeln, unterhielten Befeuerungen und verhielten sich wie die Fremden.

Wer sich jetzt überheblich über die Eingeborenen amüsiert sollte folgende Punkte bedenken:

  1. Güter existieren nicht „per se“ sondern werden gemacht, sind also Folge menschlichen, sozialen Verhaltens.
  2. Güter waren in ihren Gesellschaften nicht „privat“ (1) sondern fest eingebunden in soziale Kontexte. Wie sie verteilt wurden richtet sich nach sozialen Regeln. Warenaustausch erzeugte Bindungen, Verpflichtungen und ein sicheres soziales Netz und Identität.
  3. Güter sind endlich, Rohstoffe und -materialien sind eingebunden in einen ökologischen Kontext. Auf den Inseln herrscht an vielem Mangel und ungeregeltes Zugreifen auf Ressourcen führt in kurzer Zeit dazu, dass diese verschwinden.
  4. Güter werden von Göttern, Geistern und Ahnen belebt. Verwaltung und Verteilung unterliegt heiligen Regeln, die aber selbst für Götter und Ahnen gelten, die soziale Verpflichtungen über Generationen hinweg haben.

Damit wussten sie einiges mehr als wir jetzt. Wir wußten es auch, haben es aber vergessen (wollen).

Wie immer in solchen Fällen finden sich Spuren dieses Wissens in unserer Sprache. Im Deutschen und Englischen klingen immer noch Gott, das Gut und das Gute gleich, und es wird unterschieden in mein "Hab" und mein "Gut". God, goods, good - kommt sogar „Ware“ von sein (war, gewesen), ist Ware „Gewesenes“, und hat Ware die gleiche Wurzeln wie das Wahre? Wie auch immer, die sozialen Regeln des Austausches von Gütern sind durch Gold und Geld ersetzt worden, ökologische Kontexte werden ignoriert – unser fast albern unvernünftiges Verhalten gefährdet weltweit Arten, Leben und Gesellschaften.

Auf der Basis ihres Wissens handelten die Eingeborenen vernünftig. Sie beobachteten die „Warenbringer“ und die Empfänger. Niemand schuf die Waren, diejenigen, die am meisten arbeiteten, hatten die wenigsten Waren. Sie versuchten, dem allem einen Sinn zu geben. Sie sahen, dass Piloten und Flughafenpersonal Kopfhörer trugen und in Mikrofone sprachen. Also schnitzten Sie Kopfhörer und Mikros und murmelten in diese hinein und baten ihre Ahnen, endlich ihren sozialen Verpflichtungen nachzukommen und die Zauber-Waren zu schicken.

Wer sich darüber amüsiert verkennt, dass wir uns oft selber so verhalten. Richard Feynman prägte den Begriff der Cargokult-Wissenschaft. Gemeint war eine Wissenschaft, die formal wissenschaftliches Verhalten imitiert, aber dessen Sinn ignoriert. Weil z. B. das Ergebnis der Forschung vom Forscher ersehnt oder vom Auftraggeber erwartet wird, weil Gelder aquiriert werden sollen etc...

Wir alle leben in CargoKult-Gesellschaften. Wir vollziehen dauernd rituelle Handlungen, die formal, juristisch oder sozial vorgeschrieben sind, aber das Gewünschte nicht erreichen und oft im Gegenteil zum Teil gefährlich und zerstörerisch sind. Die wahren Mechanismen wollen wir nicht sehen.

Wir schützen die Umwelt durch rituelles Müllsortieren, kaufen Produkte mit Umweltengel, wissen, dass das die eigentlichen Ursachen der Umweltzerstörung, nämlich die Wirtschaftsordnung nicht anrührt und bekommen folgerichtig Artensterben, Klimakatastrophen und eine weltweit zerstörte Umwelt.

Wir machen rituelle Kreuzchen hinter Parteien auf Stimmzetteln und verdrängen aktiv, dass die Entscheidungsprozesse anders verlaufen, also wählen wir z. B. eine Sozialpartei und bekommen Hartz-Gesetze. Wenn wir politisch aktiv sind, besuchen wir Kreisversammlungen, wählen dort pazifistische Delegierte und Abgeordnete, die sich dann aus humanitären Gründen für Kriegseinsätze aussprechen.

Aber besonders schlimm ist und Hauptthema der „P&P“ ist unsere Räubermentalität. Wir haben ein Grundgesetz, dass nur militärische Verteidigung erlaubt. Unser "Verteidigungs-" Ministerium organisiert, führt oder unterstützt logistisch und finanziell Kriege am Hindukusch, Irak, Syrien, Jemen, Mali … . Wir bringen die Demokratie den Diktaturen im Irak, Tunesien, Syrien usw..., indem wir Waffen und Know How an „Freiheitskämpfer“, „Oppositionelle“ etc. liefern, die dann den Frauen Gleichberechtigung und allen allgemeine Menschenrechte bringen. Nur dumm, dass die Beglückten dann oft tot sind. Hunderttausenden Tote, Verstümmelte, Vertriebene und Hungernde – mit Menschenrechten, die nichts nutzen.

Ja, wir betrügen uns selbst. Wir glauben an die offiziellen, humanitären und politischen Begründungen - im Innern weiss jeder, dass es um Ressourcen, um Öl und geopolitischen Einfluss geht. Es ist kein Zufall, dass all die menschenrechtlich Beglückten in Ländern leben, die Rohstoffe haben oder geopolitisch wichtig sind. Es ist sehr mühsam, das nicht zu sehen - aber wir tun unser Bestes. Wir rauben und plündern und fühlen, wir tun nur Gutes.

Manche sehen auch den Tatsachen ins Auge. Sie glauben, die Vernunft fordert, so zu handeln, weil wir Öl und Rohstoffe brauchen. Weiter reicht die Vernunft dann leider nicht. Sie reicht nicht, um Konsequenzen aus den immensen Schäden zu ziehen, die diese Öl und Rohstoffe fressende Wirtschaftsordnung zwangsläufig mit sich bringt. Und so sind Öl ihre Holzmikrofone und Rohstoffe ihre Landebahnen.

CargoKult!

Einem Beobachter aus einer fremden Welt käme das alles rätselhaft vor. Die Eingeborenen wären vielleicht noch etwas lustig, auch tragisch, denn die Eingeborenen vernachlässigten den Ackerbau, die Kulturen zerbrachen.

Aber wir?

(1)- von Lateinisch privare - rauben, "Privates" wird der Gemeinschaft entzogen.